XV – Bei den Landsleuten in Holland und Graafschap – „Grüß‘ die Heimat!“ – Ein kleiner Abschiedsschmerz bleibt

In der Woche vom 7.-13. April begeht die „Christian Reformed Church“ in Holland im Staate Michigan ihre 100-Jahrfeier. Viele Bewohnner dieses Ortes und der Umgebung gehören dieser reformierten Gruppe an, die bei uns den Namen „altreformiert“ trägt. 100 Jahre sind es also nun her, da die ersten Auswanderer aus dem uns benachbarten Holland und unserer Grafschaft am Michigan-See im Norden der Vereinigten Staaten Fuß faßten und begannen, das Land zu kultivieren. Der Ort Holland ist in diesem Gebiet das größte Gemeinwesen, und um Holland herum finden wir die Orte: Graafschap, Overijssel, Drenthe, Zeeland, New Holland, Vriesland und andere mir vertraut klingenden Namen. Das Telefonverzeichnis von Holland könnte fast bei uns in der Grafschaft herausgegeben worden sein, soviele Einwohner tragen Grafschafter Familiennamen: Aalderink, Alferink, Arends, Arens, Bauman, Boerman, Boeskool, Bloemendal, Binemers. Borgmann, Bosman, Bruggeman, Brink, Bush, de Graaf, de Jong, de Weerd, de Wilde, de Vries, Deters, Elferink, Feenstra, Gerritsen, Geerds, Heerspink, Harmsen, Hekman, Hill, Hoffman, Hollander, Huizenga, Jacobs, Jansen, Kamphuis, Keen, Kemperman, Kieft, Klinge, Klomparens, Rotoll, Koetsier, Koning, Kotman, Kuhlman, Kuite, Kronemeyer, Laman, Lauenstein, Lemmen, Lohman, Lubbers, Maatman, Menken, Meyering, Nienhuis, Nyboer, Naber, Roelofs, Robben, Scheerhorn, Roseboom, Rozendaal, Schuurman, Scholten, Steffens, Stegink, Tenbrink, Tiethof, Tien, Timmer, Tubbergen, van den Bosch, van Slooten, Volkers, Wolters, Wierda, Yonkman, Zuverink. Das sind nur einige wenige, die mir beim Durchblättern gerade in die Augen fallen.

Beherrscht man hier in Holland unser Grafschafter Platt, kommt man mit der Verständigung in etwa zurecht. Die meisten Bewohner sprechen noch holländisch oder friesisch, wobei natürlich – wenn sie es sprechen – aus der Gewohnheit der englischen, besser amerikanischen, Sprechweise viele Buchstaben verschluckt werden.

Aber das Fernsprechverzeichnis enthielt auch Diekjacobs in Graafschap, und mit dieser Familie Jan Diekjacobs (früher Piccardie) und Frau geb. Vos aus Hestrup nahm ich nach meiner Ankunft in Holland zunächst Fühlung auf. Wenige Stunden später war ich auf ihrer schönen Farm und saß den lieben Menschen gegenüber, dem Ehepaar und der Nichte Jenny, die es vor vier Jahren aus der Piccardie mit nach Amerika genommen hat. Jenny hat sich inzwischen zu einem großen netten Mädchen entwickelt. Sie ist ein richtiges amerikanisches Girl geworden, hatte gerade Schulferien bekommen und beschäftigte sich letzt mit der Anfertigung eines Rocks. Im übrigen hilft sie ihrem Onkel gern im Hühner- und im Putenstall. 1937 hat Jan Diekjacobs diese Farm gekauft. Hühner und Puten schufen die Grundlage zum weiteren Ausbau der Farm, die im weitesten Maße mechanisiert ist. Sonst ginge es ja nicht, meint mein Gastgeber, der die Arbeit mit seiner Frau und seiner Nichte fast ausschließlich allein verrichtet. Abends kamen dann noch Johann Vos (Lage) mit seiner Frau Gertruida geb. Portheine (Nordhorn, Gildkamp), die gerade zu Besuch in Holland bei ihrem Neffen und ihrer Nichte Günther und Adele Minder geb. Holthuis (Nordhorn) weilten, sonst aber in Abbotsford, Br. Columbien (Canada) wohnen, ferner Johann Harger und Frau (Grasdorf) mit ihren zwei Kindern, die 1952 auswanderten und inzwischen auch eine Hühnerfarm bewirtschaften und der Tischlermeister und Architekt Ridder aus Hardingen, der innerhalb kurzer Zeit hier festen Fuß faßte. Wir haben uns viel erzählt, von der alten Heimat, aber auch von der neuen. Das junge Ehepaar Mülder nahm mich mit nach Holland zurück, und wir beendeten den Abend in seiner schönen Wohnung bei einer Flasche Bier. Auch diese jungen Leute fühlen sich in Michigan wohl, verdienen, da beide berufstätig sind, gut und streben weiter. Denn schon am nächsten Abend, als ich wiederum Gast im gleichen Hause war, hatte die voll Temperament und Schwung steckende reizende Frau Adele eine Anzeige in der Zeitung entdeckt, durch die ein Zweifamilienhaus zum Verkauf angeboten wurde Anruf, Verabredung noch am Abend und Besichtigung waren innerhalb einer Stunde erledigt. Das angebotene Haus gefiel den Mülders – mir übrigens auch -, und die Kaufverhandlungen setzten ein. Ich wünsche den beiden tatkräftigen Nordhornern weiterhin alles Gute – an Fleiß und Tatkraft fehlt es ihnen nicht. Ob sie noch einmal zurück möchte? O ja, aber nur besuchsweise. Für immer? Nein, das glaubten sie nicht.

Ich konnte nicht verhindern, daß „The Holland Evening Sentinal„, die Ortszeitung, mit einer Auflage von 12.000, mein Bild und einen längeren Bericht über meine Amerika-Reise auf der Titelseite veröffentlichte, aber dadurch wurden der Bäcker und Konditormeister Eilert (Uelsen) und die Familie Kronemeyer (Nordhorn) auf mich aufmerksam. Hermann Kronemeyer und Frau, seine Kinder Harald und Barbara empfingen mich herzlich. Knapp zwei Jahre sind sie in Holland, besitzen eine modern eingerichtete schöne Wohnung mit Fernsehgerät; das Auto fehlt natürlich erst recht nicht. Hermann Kronemeyer arbeitet in einer Schlosserei, macht Serienarbeiten; sein Sohn Harald, der sich auch in Amerika ganz wohl fühlt, aber doch Deutschland noch nicht vergessen kann, ist Automechaniker. Er spart für eine Reise nach Nordhorn, möchte aber andererseits auch gern sein eigenes Auto haben. Seine weiteren Pläne? Zunächst muß er einmal Soldat werden, und nach zweijähriger Dienstzeit kann er auf Staatskosten ein Colleg besuchen. Aber Büroarbeit wäre nichts für ihn, meint er. Barbara geht noch zur Schule; sie ist ein helles, aufgewecktes und freundliches Mädchen und wird sicherlich ihren guten Weg machen. Munter wird die Unterhaltung auf Nordhorner Platt nach alter Art geführt. Heinrich Holthuis kommt herzu, und unser Gespräch kreist bald um die bürgerlichen Freiheiten in Amerika, die Arbeitsverhältnisse in Michigan. Und immer, wenn ich gefragt werde, was mir denn nun in Amerika am besten gefallen hätte, so lautet meine Antwort: Am schönsten ist, daß der Mensch, gleich welcher Art, gleich, wo immer er auch herkommt, den anderen achtet. Es ist die ganz selbstverständliche Achtung vor der Würde der Menschen, ein Miteinanderleben, das man achten und bewundern muß. Nie habe ich einen Amerikaner mit puterrotem Gesicht schimpfen sehen, nie Aufregung verspürt. Gegenseitige Beleidigungen scheinen ausgeschlossen zu sein. Das bestätigte mir u.a. auch mein Besuch in Los Angeles, wo mir mein Gastgeber auf dem Wege nach Beverly Hills zu seiner Wohnung sagte: „Selbstverständlich können wir mit den Geschäftsmethoden unseres Geschäftspartners nicht einverstanden sein und geschäftlich mit ihm brechen. Das hindert mich aber doch nicht, mit ihm zusammen zu essen oder ihn einzuladen. Mensch und Geschäft müssen getrennt werden.“

Als Vierter gesellte sich übrigens während unserer Unterhaltung bei Kronemeyers Fritz Holthuis zu, fröhlich und vergnügt, wie ihn viele kennen. Ich mußte ihm natürlich ausführlich über Nordhorn berichten und viele Fragen beantworten. Abends fuhren wir nach Grand Rapids und besuchten Minnie Quakelaar, auch eine aus der Familie Holthuis, die als erste aus der Familie 1948 über den großen Teich ging, glücklich mit einem tüchtigen Mann verheiratet. Zurück möchte niemand von allen Nordhornern und Grafschaftern. Einstimmig das Urteil der Weiblichkeit: „So gut haben wir es noch nie gehabt!“ Aber alle, alle trugen mir auf: „Grüß‘ Nordhorn und die Grafschafter Heimat, grüße alle unsere Verwandten, Freunde und unsere Bekannten!“

Holland selbst ist ein reizendes und sauberes Städtchen mit einer Einwohnerzahl von rund 16.000. Die große Zeit bricht an, wenn im Mai die Tulpen blühen und vier Tage ein großes Tulpenfest, das in weiten Landen bekannt geworden ist, gefeiert wird. Dann erscheinen die „Klumpen Dancers[sic!], 1.000 Kinder in holländischen Trachten marschieren durch die Straßen. Dann sind Ausstellungen und Vorträge, Volksschauen und viele, viele andere Veranstaltungen, die vor dem Hintergrund der blühenden Tulpen das Auge des Amerikaners entzücken. Zur Sommerzeit aber hat Holland weitere Anziehungspunkte für den Fremden, hat viele schöne Parks, gepflegte Wälder, einen herrlichen Strand am See und bietet Gelegenheit, mit schönen Dampfern nach Milwaukee, das gegenüber liegt, nach Chicago oder näheren Zielen in der Umgebung zu fahren.

Aber nur zu einem geringem Teil lebt Holland vom Fremdenverkehr. Eine vielfällige Industrie sorgt für das Brot der Einwohner. Möbel, von den einfachsten bis zu den exklusivsten, werden in zahlreichen Fabriken gefertigt. Maschinenfabriken, eine grellere Bootswerft, ein neues Werk der General-Electric, vor zwei Jahren für 5 Millionen Dollar errichtet, heute mit 700 Arbeitskräften täglich 2.000 Motoren am Fließband fast automatisch herstellend, Schuh- und Matratzenfabriken – um nur einige aus der Vielzahl aufzuführen – erlauben der Bevölkerung von Holland einen verhältnismäßig hohen Lebensstandard. Allerdings, so wurde mir berichtet, wurde der Wunsch der General-Motors, die in Holland ein Werk errichten wollten, nicht erfüllt. Die Möhelfabrikanten fürchteten, General-Motors würden höhere Löhne zahlen. Arbeitskräfte würden ihnen dadurch verloren gehen, wenn sie nicht gleichzögen – und die Möbelfabrikanten sitzen im Stadtrat.

Nur noch acht Tage bin ich in diesem Kontinent. Die Niagara-Fälle, die Stadt Buffalo und New York wollen noch gesehen und erlebt werden, bevor ich das gastliche Land verlasse, in dem ich soviel Schönes gesehen, Gutes erfahren habe, in dem ich aber auch mit Problemen in Berührung gekommen bin, die noch nicht gelöst sind. Sie wird es immer und überall geben.

Trotz der Freude auf die Heimkehr wird ein kleiner Abschiedsschmerz bleiben und der Wunsch, die Vereinigten Staaten in späteren Jahren noch einmal wiederzusehen.

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