Als ich am 6. April auf dem großen Zentralbahnhof in New York eintraf und mich immer, wenn ich in eine andere Stadt kam, mit einer Taxe in das Hotel, in dem ein Zimmer für mich reserviert war, bringen ließ, hatte ich weder Nickels (5 Cent-Stücke), Dimes (10 Cent-Stücke) noch Quarters (25 Cent-Stücke), aber noch eine Half-Dollar-Münze, die ich dem Fahrer als Trinkgeld, oder wie sie drüben sagen, als „tip“ gab. Er war ein fröhlicher und ein gutmütiger Mensch. Nicht nur, weil er mich auf dem kürzesten Wege zum Hotel „Woodstock“ brachte, das trotz seiner Größe und gewiß guten Vergangenheit ein Stückchen Alt-New York darstellt und eben in dieser Vergangenheit bessere Tage gesehen haben mag, sondern auch wegen seines Wunsches, mit dem er mich verabschiedete: „Ich wünsche Ihnen, Sie möchten täglich in New York 2.000 Dollar machen.“ Herzlichen Dank, doch habe ich das nicht vor, will vielmehr New York genießen und dann nach dem „old country“ zurückfahren, und im übrigen ist es wohl kaum möglich, einen solchen „Job“ innerhalb von vier Tagen zu finden. Schließlich liegt das Geld auch in dieser Stadt nicht auf der Straße, und außerdem wollte ich mir den Ärger mit der Steuererklärung ersparen; denn jeder, der den nordamerikanischen Kontinent verläßt, muß zuvor eine Erklärung abgeben und versichern, daß er kein steuerpflichtiges Einkommen in den Staaten erworben hat. Auch der amerikanische Staatsbürger oder derjenige, der zwar dort arbeitet, aber noch nicht die Staatsbürgerschaft eworben hat, muß diese Erklärung vor seiner Abreise abgeben. Dieses „Certificate of compliance“ gehört zur Ausreise, wie man zur Einreise in die USA eventuell mitgebrachten Reiseproviant oder Früchte (Obst) abgeben muß. Bakterien und damit Krankheitsträger könnten eingeführt werden, und hinter Bakterien sind die Amerikaner her wie der Teufel hinter der Seele. Ein Weg, Epidemien zu bekämpfen, ist dies.
Hatte mich New York, die Stadt, in der sich die ganze Welt ein Stelldichein zu geben scheint, dieser Treffpunkt der Millionen von Menschen, die vielerlei Sprachen sprechen, bei meiner damaligen Ankunft im Lande der Yankees zunächst verwirrt und war sie mir mit den hoch in den Himmel ragenden Häusern, die am Ankunftstage im milchigen Licht des Nebels fast gespenstisch wirkten, wie ein großes Ungeheuer vorgekommen, das einem Angst einjagen konnte und das mich meinen so mutig begonnenen Broadway-Bummel frühzeitig etwas ratlos und bedrückt beenden ließ – nach meinem zweiten Besuch in Neu-Amsterdam kann ich nur das Loblied auf diese Stadt singen, die nun schon über 300 Jahre alt ist, aber von der Bürde des Alters nicht bedrückt wird. Sie ist nicht alt, diese Stadt – man täte dieser Zusammenballung von Steinen Unrecht, das zu glauben. New York ist eine junge Stadt, eine selten junge Stadt, die noch immer wächst und sich ständig erneuert. Ich wollte, ich könnte mit Engelszungen reden, um New York das zu geben, was diese Stadt verdient; ich wollte, ich wäre Komponist, ich würde bei aller Hochachtung vor anderen Sädten des nordamerikanischen Kontinents für San Francisco eine Symphonie komponieren, für New York aber den schönsten Tusch mit einer Ouvertüre, die am Ende der 42th [sic!] Straße, an einem Pier des Hafens beginnen und etwa in Höhe des Broadways in diesen Tusch übergehen müßte. Ein Bravo dem höchsten Haus der Welt, dem Empire State Building, ein Bravo der Library, den Straßen, den Menschen – und ein herzlicher Dank und ein ebenso gemeinter Glückwunsch der Stadt, die das Haus der Vereinten Nationen besitzt, auf das mit heißen Wünschen die ganze Menschheit sieht und das die Hoffnung dieser Welt ist.
Sollten meine Füße noch einmal New Yorker Pflaster betreten, ich würde wieder durch die Straßen bummeln und wieder die 42. Straße vom Hudson-River bis zum East River, von Westen nach Osten quer durch Manhattan zu Fuß abklappern, bei den kreuzenden Avenues verweilen und Blicke nach links und rechts werfen; an vielen schönen Geschäften langsamen Schritts vorbeiwandern. Und wieder würde ich mich über die vielen eleganten Menschen freuen und wahrscheinlich wieder jenen Soldaten der Heilsarmee sehen, der mitten in diesem Trubel einen Choral bläst. Bis zum Platz der Vereinten Nationen würde ich gehen, und dann wünschte ich, unter den dort wehenden Fahnen von über 80 Nationen dieser Erde auch die deutsche zu sehen. Durch das mächtige Rockefeller-Center würde ich mich wieder von einer jungen Dame in Uniform führen lassen, wartend auf das neckische Spiel mit ihren Kulleraugen und auf die Worte aus ihrem kirschroten Mund: „This way, please!“ Denn ohne dieses „this way, please!“, wo käme dann ein Fremder in dieser großen Stadt, einer Stadt in einer großen Stadt, hin? Natürlich würde er auch den richtigen Weg finden, aber Freunde, verzichtet nicht darauf, dieser Dame zu folgen.
Man kehrt zurück in dieses Rockefeller-Center, zu dem 15 große Gebäude gehören, die alle miteinander in Verbindung stehen und von denen das höchste 70 Stockwerke zählt. Aber nicht allein darum, sondern allein schon wegen der „Radio City Music Hall„, die – mit Superlativen braucht diesmal nicht gespart zu werden – das größte Theater der Welt ist und 6.200 Personen Platz in bequemen und gepolsterten Sesseln bietet. Wieder müßte es einen Film geben wie den köstlichen Streifen „Full of life“ mit Judy Holliday, und anschließend wird man wieder der sicher besten Girl-Truppe der Welt, den Rockettes, bewundernden Beifall klatschen; denn es grenzt ans Unwahrscheinliche, mit welcher Genauigkeit und Exaktheit diese 80 oder 90 Mädchenbeine, die zu 40 oder 45 herrlich gewachsenen Girls gehören, die Melodie des Broadway dieser großen Stadt tanzen, und zu diesem Rhythmus gehören auch die Ziegfield-Follies im Winter-Garden, von denen eine wenige Tage nach meinem dortigen Besuch von einem Millionär geheiratet wurde. Aber das gehört zu den Seltenheiten, und wenn nun gerade dieser eine von den vielen Millionären zum zehntenmal heiratet, dann soll man von ihm nicht auf die Allgemeinheit dieser Leute schließen und glauben, alle Dollar-Millionäre wären nun auch so. Meine Gastgeber in Beverly Hills führen nun schon über 30 Jahre eine glückliche Ehe und bezahlen jährlich für zwei deutsche Schüler einen einjährigen Studienaufenthalt in den Staaten und tun sehr viel Gutes mehr. Und auch das stimmt nicht, daß nun alle Nordamerikaner den Elvis-Presley-Rummel mitmachen und Rock`n Roll tanzen. Presleys Stern geht unter – ein neues Idol der Teenager mag kommen, aber auch dann nur für einige von ihnen. In einem bekannten Lokal, im „Latin Quarter„, sah ich zum Beispiel kein Paar, das „verrückt“ tanzte, aber viele Tangos, Langsame Walzer, Slow-Foxes und Foxtrotts. Doch lieber läßt man sich etwas vortanzen und etwas vormachen. Das Programm ist großartig. „Oh boy – what a floor show“.
Rund um den Broadway findet der Besucher zahlreiche Theater, in denen jahrelang Abend für Abend dasselbe Stück gegeben wird, wenn es beim Publikum ankommt. Beliebt sind die Musicals, die neue Form des Theaters, ein Zwischending von Operette und dem klassischen Theaterspiel. „My fair Lady“ ist ein solches Musical und wurde frei nach G. B. Shaws „Pygmalion“ komponiert. Schon über zwei Jahre sind die Vorstellungen ausverkauft, wenn es mir auch während meines Aufenthaltes nicht gelang, ein „Ticket“ für eine Vorstellung zu erhalten; mit Schmunzeln denke ich an den Herrn an der Kasse, dem es sehr leid tat, mir keine Karte verkaufen zu können: „Im September sind noch einige Plätze frei“. Solange könne ich leider nicht warten. Ein Erfolgsstück ist am Brodway auch „Das Tagebuch der Anne Frank“ in der Inszenierung von Schildkraut geworden; die deutsche Schauspielerin Gusti Huber gehört hier zum Ensemble.
Eine kleine Einfügung muß ich vier Wörtern widmen. Ich möchte und will Sie nicht vergessen. In den Staaten ist es auch erforderlich, daß man jeden Flug, den man gebucht hat, einige Stunden vorher bestätigt. Den Transatlantikflug einige Tage vorher. Vier Tage vor meinem Abflug besuchte ich das Office der PAA, mußte aber infolge großen Andranges einige Minuten warten, bis ich mein Anliegen vorbringen konnte. „Thank you for waiting“ – ich danke Ihnen, daß Sie gewartet haben – waren die ersten Worte des Angestellten, und dieses „thank you for waiting“ sagt die Beamtin am Klappenschrank, wenn man auch nur einen Augenblick auf die Herstellung einer Verbindung warten muß. Es sind wenige Worte und gewiß unbedeutende – aber imponiert es nicht, daß sie gesagt werden?
Aber ich würde, wäre ich wieder in New York, wieder die Rundfahrt mit dem Motorboot rund um Manhattan machen und sicher wieder von der imposanten „skylines“ beeindruckt sein. Wieder würde ich stundenlang langsamen Schrittes durch die Museen wandern. Sie bergen eine Überfülle an Kulturgut aus den Anfängen der Menschheit bis zur heutigen Zeit, und es gibt aus allen Jahrhunderten wohl keinen Maler von Bedeutung, der hier nicht zu finden wäre. Was die Amerikaner auf diesem Gebiet tun, grenzt ebenso ans Erstaunliche (in den meisten Kunsttempeln wird kein Eintrittsgeld gefordert) wie ihre Gastfreundschaft und die Achtung vor dem Menschenleben, für das sie, wenn es sein muß – eine Million Dollar und noch mehr ausgeben, um es zu erhalten.
Und noch eines würde ich tun: die „Statue of Liberty“ besuchen, die Freiheitsstatue. Sie ist das Symbol des Amerikaners, „Freedom“ ist sein Lebensinhalt – und es ist etwas dran, an dieser Freiheit, die nicht nur in der Verfassung garantiert ist, sondern die gelebt wird, und keinen Deut wird sich der Mensch jenseits des großen Wassers davon nehmen lassen.
Man sage mir nicht, meine Gastgeber hätten mir nur die guten Seiten des Landes gezeigt. Auch ich war frei und nicht immer in Begleitung. Ich habe gehen können, wie ich wollte und wohin ich wollte, habe allerdings in den Städten um die berüchtigten Viertel einen Bogen gemacht, was man mir nicht verübeln wolle. Aber ich habe nicht immer die besten Restaurants aufgesucht. Mit vielen Amerikanern sprach ich, aber auch nicht einer erwähnte mir gegenüber den Krieg oder die Hitlerzeit. Ich fand nicht nur die äußeren Formen der Höflichkeit, ich fand jenen Herzenstakt, der glücklich macht. Kann man verstehen, daß ich nach allem Guten, was mir in der Neuen Welt widerfahren ist, trotz aller Freude auf meine Heimat ihr kein „Lebewohl“, sondern beim Abschied ein „Wiedersehen“ zurief. „Come again“ – kommen Sie wieder – wurde mir oft gesagt. Mögen die Worte eines Tages wieder Wirklichkeit werden!