Ich habe mich oft gewundert und mich gefragt, wie es nur kommt, daß die Yankees in mir einen Ausländer erkennen, obwohl ich doch längst weiße Dacron-Hemden trage wie jeder Nord-Amerikaner, der etwas auf sich hält. „Where are you from?“ – „Swizz?“ – „No, Germany!“ Und weiß man erst um das Woher und Wohin, dann kommt mit Sicherheit die Frage: „Do you like the States?“ Ich brauche mich nicht nach einer Notlüge umzusehen, ich finde das Land wirklich großartig und die Schönheit San Franciscos, die ich jetzt unter der Sonne Californiens und herrlich blauem Himmel genieße, ist unbeschreiblich.
Da es ein Sonntag ist und sonnabends und sonntags für Geld und gute Worte keine offizielle Stelle zu erreichen ist, mache ich einen fünfstündigen Spaziergang durch diese amerikanische Stadt an der Pazifik-Küste mit der Blickrichtung nach Asien. Die „Goldene-Tor-Brücke„, die man getrost zu den Weltwundern zählen sollte, und der Welt längste Brücke, die San Francisco mit Oakland in einer Länge von 8½ Meilen [sic!] verbindet, waren die Ziele. An diesem Spaziergang erkannte man den Ausländer; denn keinem Amerikaner fällt es ein, diesen Weg zu Fuß zu machen. Er, sie und es haben ein Auto. Wozu also der beschwerliche Fußweg? Viele Wochenendausflügler, die auch das „Goldene Tor“ sehen wollten, stiegen nicht einmal aus, sondern parkten kurz, um dann schon nach wenigen Minuten die Fahrt fortzusetzen. Wahrscheinlich mußten an diesem Tage noch viele Sehenswürdigkeiten besichtigt werden. Übrigens liebt man in Californien unsere deutschen Volkswagen. Im Südosten traf ich sie weniger an, und außer Volkswagen, die in den Staaten 1.500 Dollar kosten, sieht man ab und zu einen Mercedes.
Eine schöne Einrichtung in den Vereinigten Staaten sind die „Cafeterias“, in denen man gut und billig essen kann. An langen Tischen sind die Speisen appetitlich und sauber (Hygiene steht mit an erster Stelle) aufgebaut. Der Gast nimmt ein Tablett, das in einer Serviette eingewickelte Eßbesteck, setzt beides zusammen auf die Metallschiene und nimmt sich dann das Gewünschte. Fruchtsaft ist in den meisten Fällen die Ouvertüre, dann kommt Salat in allen möglichen Variationen, dann das Hauptgericht: Kalbfleisch, Schweinefleisch, Leber, Hühnerbraten, Putenbraten (besonders beliebt!), Fischgerichte, Kartoffeln in allen Zubereitungsarten, Weißbrot, Tortenstücke und Kaffee, den man zum Essen trinkt (nicht etwa anschließend). Am Ende der Tische thront vor einer Registiermaschine das Girl, das die Rechnungen tippt und mit einer unglaublichen Schnelligkeit die einzelnen Artikel auf dem Tablett verzeichnet. Für einen Dollar, 20 Cents, für 1,40 oder 1,50 Dollar hat der Hungrige eine außergewöhnlich reichhaltige und gute Mahlzeit, zu der das Eiswasser natürlich auch nicht fehlt. Eiswasser ist das erste, was auf den Frühstückstisch gestellt wird, Eiswasser zum Kaffee, Eiswasser zum Abendessen und Eiswasser wohin man kommt und geht. Das gibt es gratis, wie auch zum Frühstück oder in vielen Restaurants die zweite und dritte Tasse Kaffee ohne weitere Berechnung eingeschenkt wird.
Ich kann es mir einfach nicht abgewöhnen, mit Messer und Gabel zu essen. Aber damit falle ich auf. Der Amerikaner ißt nur mit der Gabel, benutzt das Messer allenfalls dazu, das Fleisch in kleine Stückchen zu schneiden, um es dann sofort wieder wegzulegen. Die linke Hand liegt auf dem Knie, während er ißt. So wie wir essen, so gehört es sich nicht und gilt als „unfein“. Und wieder erkennt man den Europäer! In der „Cafeteria“ wie auch in vielen anderen Restaurants wird bei der Kassiererin, die ihren Platz am Ausgang hat, bezahlt. Die Leute, die in einer solchen Cafeteria essen, zahlen kein Trinkgeld; in Restaurants ist es dagegen üblich, 10 oder 15 Prozent zu geben. Aber die obligatorischen 10 Prozent, die bei uns auf den Rechnungebetrag geschlagen werden, gibt es nicht. Man kann also geben, wenn man zufrieden ist…, man kann es aber auch nicht, aber meistens tut man es.
Will man wissen, ob die Menschen, mit denen man zusammenkommt, verheiratet sind oder nicht, sieht man auf die linke Hand der Dame. Denn dort trägt sie ihren Ehering. „Er“ trägt selten einen, und wenn schon, dann ist mit absoluter Sicherheit zu sagen, daß „er“ schon mindestens 15 Jahre verheiratet ist. Denn erst mit 15-jähriger Ehe ist der Mann würdig, den Ring zu tragen. So ist es mir erklärt worden. Eine andere Erklärung, die vielleicht vorhanden sein mag, fehlt mir. Zum dritten Mal also bin ich als Nicht-Amerikaner erkannt. „Where are you from?“
Gehen Sie mit einer Amerikanerin spazieren – lieber fährt sie Auto -, dann lassen Sie Ihre Dame nicht immer rechts von Ihnen gehen, sondern geben Sie ihr den Platz an der anderen Seite. Sie ist es nicht anders gewöhnt.
„How are you?“ oder „How do you do?“ und dahinter Mr. oder Miss sowieso sagt man bei der Begrüßung, wenn man vorgestellt wird. Derjenige, dem Sie vorgestellt werden, wird ihren Namen behalten, auch dann, wenn Monate darüber vergehen. Es könnte ja sein, daß man sich bei einer „Party“ irgendwo einmal wieder trifft. Es wäre unhöflich, dann den Namen nicht mehr zu wissen. Bei der Begrüßung wird der Amerikaner aber immer sagen, daß er entzückt ist, Ihre Bekanntschaft zu machen. Er hoffe, Sie bald wiederzusehen. Sagen Sie auch: „Very nice to see you“, sonst werden Sie sofort als Ausländer erkannt. Trifft man Bekannte öfter wieder, so genügt zur Begrüßung ein „Hallo!“
Wie gewohnt, brachte mich der „Bell-Boy“ nach meiner Anmeldung im Hotel in San Francisco, das ich nach einer schönen und bequemen Fahrt im Pullmann-Wagen, hinter dem ein geräumiger Speisewagen und noch dahinter eine „Cocktail-Lounge“ fuhr, nach zehnstündiger Fahrt von Los Angeles aus erreichte, in das vorbestellte Zimmer. Er öffnete, wie ebenfalls nun schon gewohnt, die Türen zum Badezimmer, zu den Schränken, knipste an jedem Schalter das Licht an, um mir stillschweigend zu sagen: „Sir, es ist alles in Ordnung!“ Der „Bell-Boy“ erwartet ein Trinkgeld, und hat er es, so ist er für die Tage des Aufenthalts zu jedem Dienst gern bereit. Er besorgt zum Beispiel die Wäsche, die man gewaschen haben möchte, während der Clerk unten bei der Anmeldung um die Erfüllung anderer Wünsche bemüht ist. Mit jedem Hotelzimmer, das sehr geräumig, oft mit Radio und Fernseh-Apparat ausgestattet ist, steht ein separates Badezimmer – Wannen- und Brausebad – angeschlossen. Dort ist auch alles andere zu finden, das der Mensch nun einmal gebraucht. Mit Sicherheit findet der Gast drei Stück Seife vor, Handtücher in genügenden Mengen, mit Sicherheit auch eine Bibel, Sessel und Schreibtisch, in dessen Schublade eine gewisse Menge Briefpapier bereitliegt. Tinte, Federhalter und Feder fehlen nicht, und für etwa vier bis sieben Dollar ist man so wirklich komfortabel untergebracht. Es gibt natürlich Hotels, die noch größer und noch komfortabler sind, und viele, die gar ihren eigenen „Swimming-Pool“ im Hofe haben. Das „Hilton-Hotel“ in Hollywood reizte schon, aber dort war denn auch der Preis reizlos.
Die freundliche Southern-Pacific-Eisenbahngesellschaft also war es, die meinen Transport längs durch Californien, durch Orangenhaine längs der Küste entlang und durch einzigartige Gebirgslandschaften besorgte. Die Sesselplätze sind reserviert. So gibt es also kein Geschiebe, kein Gedränge, kein Hasten, kein Jagen um den Platz. Jeder Wagen hat seinen eigenen Boy, der sich um das Wohl der Fahrgäste bemüht. Freundlich wird der Reisegast durch Lautsprecheranlagen begrüßt, und durch diese Anlage wird er auf dem laufenden gehalten. Die Reiseroute wird beschrieben, die Orte, die berührt werden, erstehen in ihrer Entwicklung und ihrer heutigen Bedeutung. Für 15 Cents wird dem Fahrgast das Gepäck schon vor dem Abfahrtsbahnhof abgenommen; am Zielort erhält er es vor dem Bahnhof wieder ausgehändigt. Bequemer geht es nimmer. Hier ist der Kunde König, weil sich die Eisenbahngesellschaften in Privathänden befinden. Sie müssen schon etwas tun – darum die Reisen mit allen erdenklichen Erleichterungen. Gefällt es dem Fahrgast nicht, geht er zu einer andern Eisenbahngesellschaft oder wählt ein anderes Verkehrsmittel. Reisen mit dem Flugzeug sind sehr einfach, und das Luftverkehrsnetz ist schon recht dicht ausgebaut – doch die Reise nach Californien würde ich immer wieder bei Tag mit „The Friendly Southern Pacific“ machen, vorbei an der Küste und durch die Wälder, wo die Apfelsinen an den Bäumen wachsen, und durch die Gebirgslandschaft, die einem die Antwort auf die Frage: „Wie finden Sie Amerika?“ so leicht macht.