Wo immer auch man in amerikanischen Staaten ist, überall stößt man auf deutsche Namen, deren Träger aber längst aus diesem riesigen Schmelzkessel der Völker als echte Amerikaner hervorgegangen sind und die kaum noch wissen, daß ihre Vorfahren einst als Pioniere den beschwerlichen Weg von Osten nach Westen unternahmen, um hier ein neues Leben zu beginnen. Der Anteil deutschen Blutes im amerikanischen Volk dürfte bei etwa 30 Prozent liegen, und auf diese Zahl etwa gründet sich heute die deutsche Einwanderungsquote.
Ein halbes Jahr müssen die deutschen Einwanderungswilligen warten, bis sie ihr Ausreisevisum erhalten, aber dann geht der Einschmelzungsprozeß sehr rasch vor sich. Wollen die Einwanderer vorwärts kommen, müssen sie sich den Gewohnheiten des Landes anpassen; und schon nach kurzer Zeit oft können viele die deutsche Muttersprache offenbar nicht mehr und sprechen dafür ein natürlich noch miserableres Englisch. Und heiraten sie erst, kommen Kinder, die nur noch englisch hören und sprechen, dann ist die neue Sprache bald vollkommen in die Familie eingekehrt – und aus ist’s mit dem Deutschtum. Mit der Sprache aber vergessen sie auch die Kultur ihres Vaterlandes, geben die Sitten und Bräuche ihrer Ahnen auf, doch lernen sie gleichzeitig, die Würde eines jeden Menschen zu achten. Sie nehmen teil an der Freiheit, die jedem Menschen garantiert wird, sie selbst werden duldsam und üben weitgehende Toleranz.
Bei dem Besuch einer Schule in Washington wunderte ich mich, daß in einer Klasse verhältnismäßig viele Schüler die deutsche Sprache erlernten oder erlernen wollten. Über diese Beobachtung sprach ich später mit einem Professor der Germanistik in New Orleans, der darauf allerdings lächelnd erwiderte:
„Die meisten von ihnen halten aber leider nicht durch. Die deutsche Sprache ist zu schwer, und wozu sollen sie auch Deutsch lernen, wo sie mit ihrem Englisch überall in der Welt zurechtkommen? An unserer Universität (in New Orleans) hat mein Kollege, der die französische Sprache lehrt, die meisten Hörer, denn hier gehört es zum guten Ton, französisch zu können und von der französischen Kultur zu wissen. Dort sitzen die Töchter und Söhne reicher Eltern; in meinem Kolleg habe ich z. Zt. nur fünf Studenten. Nach dem Kriege war das zunächst noch viel schlechter; allmählich ist die Schülerzahl langsam wieder angestiegen. Zur Zeit lese ich über deutsche Dramen, und meine Kollegin behandelt die deutschen Novellen, aber es ist sehr schwer, und der Unterricht kann nur ganz primitiv durchgeführt werden.“
Die Frage, ob die Theater auch deutsche Klassiker oder überhaupt deutsche Autoren spielen, wird verneint…, es gibt ja auch hier keine festen Theater wie in Deutschland. Es gibt keine Opern, allenfalls einmal in einer größeren Stadt ein Symphonie-Orchester, das allerdings dann von einer privaten Gesellschaft finanziert wird. Hätte nicht ein reicher Mann das Symphonie-Orchester in New Orleans in letzter Minute mit sehr namhaften Beträgen unterstützt, es hätte seinen Konkurs anmelden müssen.
Auch in Los Angeles besteht kein Theater. „Was wollen Sie“, fragt mich ein Herr, als wir über dies Thema uns an der Westküste Californiens unterhalten, „wir haben ja Reisetrupps, und zwar die besten, die es gibt. Hat das Stück in New York (dort gibt es bekanntlich Theater und die weltberühmte Metropolitan-Oper, die gerade jetzt ein neues Gebäude erhält) ausgespielt, kommt es mit dem gleichen Ensemble zu uns, und wir haben Theater in der Vollendung!“
In Los Angeles sind 80.000 Deutsche, die sich in vielen Vereinigungen zusammengeschlossen haben, doch es bleiben Vereine, deren Tätigkeit aus Zusammenkünften bei Bier und Sauerkrautessen, Schuhplattlern und Walzertanzen besteht. Es ist oft versucht worden, und es wird weiter versucht, die Deutschen auf höherer Ebene zusammenzuführen. Das aber scheint, so wird mir immer wieder versichert, ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein.
Wer also ist es, der sich für Deutschland und deutsche Kultur interessiert? Die besten Sendboten und die besten Missionare in dieser Beziehung sind die Soldaten, die in Deutschland stationiert waren, es sind die Familien, die für einige Wochen in Deutschland lebten, sind die Söhne und Töchter amerikanischer Offiziersfamilien, die mit einer fast schwärmerischen Begeisterung von Deutschland erzählen und die deutsche Gemütlichkeit, Herzlichkeit und Fröhlichkeit kennengelernt haben. In vielen von ihnen pulsiert noch deutsches Blut; es mag geweckt werden sein, als sie einen Teil ihres Lebens drüben bei uns verbrachten. „Deutschland ist wunderschön“, sagte eine Beamtin des amerikanischen Generalkonsulats in Berlin zu mir, die jetzt wieder nach Washington zurückversetzt worden war. „Berlin ist wunderschön, und ich mußte weinen, als ich dort Abschied nehmen mußte, obwohl man mir den Trennungsschmerz mit viel Blumen leichter machen wollte!“ In ihren Augen glitzerten wieder einige Tränen – ihre Worte waren aus innerstem Herzen gekommen.