„Take it easy, take a train“ – mache es dir leicht, nimm einen Zug – werben die Plakate der Eisenbahngesellschaften in den Vereinigten Staaten, und diese Plakate zeigen mit Chevrolets, Fords, Plymouths, Packards, Studebakers, Hudsons, Nashs und Cadillacs dicht gefüllte Autostraßen, auf denen, entsprächen diese Plakate auch nur in etwa der Wirklichkeit, sicher keine Stecknadel zu Boden fallen könnte. Ganz so ist aber nicht; denn die Highways und Freeways lassen den insgesamt 58.844.127 zugelassenen Kraftwagen in den Staaten noch genügend Spielraum. Diese Zahl ist am 1. Januar 1956 festgestellt, sie wird sich bis heute weiter erhöht haben. Rund 48.000.000 Personenwagen verteilen sich auf rund 170.000.000 Einwohner, und interessant ist es, aus der Statistik zu ersehen, daß 47 Prozent (etwa 23.000.000) der in Benutzung befindlichen Personenwagen sich auf die Staaten Kalifornien, New York, Pennsylvania, Ohio, Illinois, Texas und Michigan verteilen. Das heißt also, in nicht ganz einem Siebtel des Gebietes der USA werden nahezu die Hälfte aller Personenwagen gefahren. Mit der stetigen Zunahme der Bevölkerung, deren Geburtenüberschuß beträchtlich ist, wird auch die Zahl der Kraftwagen in den Staaten weiter steigen. Das Auto ist das Verkehrsmittel des Amerikaners geworden, es gehört zu seinem Leben wie des Fernsehgerät. Die Wagen beschafft man sich trotz des verhältnismäßig billigen Preises noch auf Teilzahlung zumeist aus „second hand“, also gebraucht aus zweiter Hand. „Used cars“ gibt es in jeder Stadt zu Tausenden, und viele davon sind kaum gebraucht. Auch viele gute Marken kann man „used“ kaufen. 30 oder 40 Monatsraten – das spielt keine Rolle, solange man arbeitet. Der Amerikaner aber muß ein Auto haben, das kein Luxusartikel ist, und oft hat man einen, zwei oder drei Wagen.
Die Autostraßen sind in glänzender Verfassung,und wo eine nicht ausreicht, baut man darunter eine neue, darüber eine, die zweite, die dritte, die vierte durch die Luft. Das ist kein Märchen, und wer es nicht glaubt, der fahre von Los Angeles (Downtown) nach Hollywood, durch New Orleans oder San Francisco.
Die Schwierigkeit liegt nicht in der Beschaffung eines Wagens, sondern einfach in der Lösung des Parkplatz- und des Garagen-Problems. Ich meine, daß dieses ein gutes Problem ist. Die zum Teil großen Parkplätze sind im Augenblick überfüllt, und die riesengroßen Garagen, die man in die Luft und in die Erde baut, reichen bei weitem nicht aus, den Millionen und Abermillionen chromglitzernden breiten amerikanischen Wagen ein Dach zu geben. Außerdem ist das Parken und sind die Garagenmieten noch teuer. Der New Yorker, der seinen Wohnsitz in den hübschen Vororten und in ebenso hübschen Bungalows im Grünen hat, fährt meistens nur bis zum Stadtrand und benutzt lieber den Omnibus oder die „Subway„, die Untergrundbahn, die zwar alles andere als modern ist, doch man kommt mit ihr schnell vom Fleck. Im großen und ganzen aber rollt der Verkehr, und es war bereits früher die Rede davon, daß nirgends die Verkehrsregeln so strikt innegehalten werden wie jenseits des Atlantik. Das liegt zum Teil an der Erziehung, an den Charaktereigenschaften des Yankees, zum Teil aber auch an der Angst vor einem „Ticket“ – die Polizei greift hart durch, erteilt aber auch Nachhilfeunterricht, wie man sich im Verkehr zu verhalten hat – und in den Städten an den Verkehrsampeln, die an keiner Kreuzung fehlen. Über sie sind nur die Taxichauffeure ungehalten, die alle wenigen Meter anhalten müssen. „Wie soll man da sein Geld verdienen?“ Bei dieser Gelegenheit: In Nordamerika braucht man nicht zu einem Parkplatz der Taxen zu gehen. Man stellt sich auf den Bürgersteig und hebt die Hand hoch. Es dauert nicht lange, bis ein vorüberfahrender Taxifahrer seinen Wagen rechts heranfährt. In einigen Städten haben die Taxen bereits Sprechfunkverkehr und werden von ihrer Zentrale aus eingesetzt.
„Take it easy, take a train“ – gewiß, gern – aber wenn man von San Francisco nach New York quer durch den Kontinent fahren will, ist man vier Tage und vier Nächte unterwegs, mit dem Flugzeug dagegen nur etwas mehr als einen halben Tag. Das Wort „Zeit ist Geld“ hat auch noch heute in den Staaten Geltung, und davon kommt es, daß zahlreiche früher gut besetzte Schnellzüge der großen Pazifik-Eisenbahnen, die die atlantische mit der pazifischen Küste verbinden, heute halbleer fahren.
Auf kleinen Strecken nimmt man Omnibusse, die die billigsten Beförderungspreise haben und von keinem Konkurrenten unterboten werden können, aber auf den mittleren Strecken wollen die Eisenbahnen den Sieg über das Flugzeug erringen. Sie können es aber nur, wenn sie dem Reisenden einen weit größeren Komfort als Flugzeug und Autobus bieten. Aber was die Luftfahrtgesellschaften dem Gast an Service bieten, ist nur noch schwer zu übertreffen, abgesehen von den netten Stewardessen, die den Fluggast an Bord persönlich begrüßen, köstliche Speisen und Getränke servieren, freundlich und aufmerksam und gleichzeitig sehr zurückhaltend sind. Ihrer erinnere ich mich gern, wenn ich an meine Flugreisen zurückdenke und dabei das Gefühl hatte, daß, wenn die tadellos gekleideten hübschen Mädchen in mir den Deutschen erkannt hatten, ein Quentchen mehr an Freundlichkeit zulegten. Für alle aber mag jene Stewardeß von den „Delta-Airlines“ meinen Dank entgegennehmen, die mich am 14. März von Knoxville nach Atlanta begleitete, deren Großeltern aus Deutschland stammten und durch die mich der Flugkapitän fragen ließ, was ich von den Mercedes-Autos halte, er wolle sich eins kaufen. Ich sei kein Fachmann, aber Mercedes seien mit die besten deutschen Wagen – und sie die beste Stewardeß der Welt. Die Damen in den Staaten reichen dem, der ihnen vorgestellt wird, nicht die Hand. Das ist nicht üblich, jedenfalls nicht bei der Begrüßung. War es also nicht zu Beginn, bei der Verabschiedung war unser Händedruck recht freundschaftlich.
Sie war nur eine aus dem riesigen Heer der Angestellten der Luftfahrtgesellschaften und verriet mir, daß sie monatlich 80 Stunden zu arbeiten habe, 300 Dollar verdiene und sich in ihrem Beruf sehr wohl fühle.
Einige Zahlen aus den Luftverkehrsverhältnissen in den Staaten? Bitte, hier sind sie: Täglich werden 65.000 Flugstunden zurückgelegt. Mit Hilfe von Radargeräten wurden im Luftraum einer einzigen Großstadt gleichzeitig 220 Flugzeuge registriert. Im Jahr 1946 wurden lediglich 10 Milliarden Passagierkilometer zurückgelegt, im Jahr 1956 hatte sich diese Zahl bereits auf 32 Milliarden erhöht. Man weiß noch nicht, wie die Entwicklung weitergeht, jedenfalls arbeitet man drüben ernsthaft an dem Problem, bei der raschen und stetigen Zunahme des Flugverkehrs die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Es soll eine selbständige Bundesbehörde geschaffen werden mit der Aufgabe, die Erfordernisse der Zukunft zu ermitteln und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Gesetzesvorlage dafür ist dem Kongreß zugeleitet worden.
Aber: „Take it easy, take a train“. Von Buffalo aus fuhr ich mit dem Train und hatte ein „lower berth“, übersetzt heißt das Koje. Aber in dieser „Koje“ ließ es sich recht gut reisen. Zunächst war da ein Sessel, über dem Sessel in der Rückwand ein Hebel. Zog man daran, kam ein Bett zum Vorschein, sauber bezogen und gut gefedert. Weitere Knöpfe waren für Tages- und Nachtbeleuchtung, für Frischluftzufuhr, für einen Wandschrank, in der Ecke unauffällig und gut in den Gesamtrahmen eingefügt ein Klosett, darüber in die Seitenwand eingelassen ein Waschbecken mit fließendem kalten und warmen Wasser. Seife und Handtücher fehlten nicht. Bevor ich mich aber hinlegte und New York und Manhatten [sic!] entgegenschlief, trank ich im hinter diesem Schlafwagen fahrenden Klubzimmerwagen zwei „Manhatten“ – was sollte ich auch sonst trinken?
Viele Wagen in den amerikanischen Eisenbahnen haben auch einen Schreibtisch, auf dem man tatsächlich schreiben kann. Im Zuge kann der Reisende sein Essen zu sich nehmen, seinen Kaffee trinken, und er braucht keine Angst zu haben, daß der Kaffee durch das Rütteln „überschwappt“. Ich schrieb es schon einmal, die Eisenbahnen sind nicht staatlich. Es gibt viele Eisenbahngesellschaften, die sich auch untereinander verbissene Konkurrenzkämpfe liefern. Doch halt! Eine Eisenbahn ist freilich staatlich und untersteht dem Bund. Man muß mit ihr, weilt man in Washington, gefahren sein, aber ohne Komfort, ohne Schaffner und ohne Boy, der einem das Gepäck abnimmt. Gepäck aber wird auch nicht befördert, nur staatswichtige Akten, und was noch wichtiger ist, die Senatoren der Staaten, die im „Capitol“ ihren Sitzungssaal haben und mit dieser „Bundesbahn“ unterirdisch zum Haus der Senatoren, knapp einen Kilometer vom Capitol entfernt, fahren können, wo sie ihre Büros haben. Sie stehen jedem Bürger der USA offen, in die sie eintreten und ihre Anliegen vorbringen können. Auch wir traten ein, wir, Dr. Pleister, der Intendant des Fernsehens des Norddeutschen Rundfunks – „Wie geht’s Ihrem Stadtdirektor Steigertahl, habe mit ihm zusammen studiert, grüßen Sie ihn herzlich von mir“ – Joachim Braun vom Nord- und Westdeutschen Rundfunkverband (Fernsehen/Film), Herr Plischke vom „International Center“, Washington (der ebenfalls alle Nordhorner, die bei ihm weilten, herzlich grüßen läßt), und ich. – Anschließend besuchten wir, die wir vorher einer Senatssitzung beiwohnten, den Obersten Bundesgerichtshof, waren Zeuge einer Sitzung, und – wir würden Staatsbibliothek sagen – die Library, in zehn Millionen Bände zu haben sind, in der die Gutenberg-Bibel, die für eine Million Dollar angekauft wurde, einen besonderen Platz einnimmt und in der man ein Buch in weniger als fünf Minuten mit Rohrpost zugestellt bekommt, so man will. „Wie wird dem Menschen hier alles leicht gemacht, wie kommt man ihm entgegen“, sagte Dr. Pleister, und ich denke, er hat damit ausgesprochen, was uns imponiert: „take it easy!“
Kurz noch einen Überblick über die Fahrpreise: Man bezahlt für die Strecke von New York bis „Frisco“ (etwa 4.800 Kilometer) mit dem Flugzeug (Touristenklasse) 99 Dollar, 1. Klasse 158 Dollar, mit der Eisenbahn (Sesselwagen) 90 Dollar, Pullman-Klasse 124 Dollar, Schlafwagen 2. Klasse (Zweier-Kabine) etwa 150 Dollar, Einbett-Abteil (lower berth) 167 Dollar, Schlafwagen 1. Klasse 183 Dollar und Salonwagen 210 Dollar. (Rechnen Sie nicht in D-Mark um; der Amerikaner verdient Dollars und keine D-Mark!).
Ich wurde nach meiner Rückkehr oft gefragt, ob diese Reise nicht sehr anstrengend gewesen sei. Ich habe nie eine einfachere und schönere und bequemere Reise gemacht und habe kaum gespürt, daß ich in in diesen 45 Tagen einhalb mal um die Erde gereist bin.