New Orleans ist nicht nur eine der ältesten Städte des amerikanischen Kontinents und ist nicht allein berühmt durch seine wechselvolle Geschichte, die Franzosen, Spanier, wieder Franzosen und von Beginn des 19. Jahrhunderts an die Amerikaner schrieben, sondern sie hat auch den zweitgrößten Hafen Nord-Amerikas, dessen Kais und Docks und Werften sich weit über 40 Kilometer lang an den Ufern der Mündung des River erstrecken. Der stolze Bewohner dieser Stadt spricht vom „River“, nicht etwa vom Mississippi, der in einer Länge von 4.120 Kilometern mit seinen großen Nebenflüssen, dem Ohio und dem Missouri, eine riesige Fläche im östlichen Zentralgebiet des Kontinents bewässert, ehe er sich in den Golf von Mexiko ergießt. Ungeheuer große Mengen von Export- und Importgütern werden hier umgeschlagen. Schiffe aller Nationen der Welt, vor allem aus europäischen und asiatischen Ländern, finden – oft 100 zur gleichen Zeit – hier einen Anlegeplatz.
Die Yacht der Hafengesellschaft „Good Neigbor“, auf der ich eine Rundfahrt durch dieses Einfalls- und Ausfahrtstor zur Welt mache, liegt hinter dem Vergnügungsdampfer „Mr. President“, auf der täglich eine nach Tausenden zählende Menschenmenge sich das Erlebnis des Rivers nicht entgehen lassen will, auf der aber auch auf fünf bis sechs Decks freitags, sonnabends und sonntags ebenso viele Menschen einen dreistündigen „dance-trip“ machen können.
So ist es kein Wunder, daß sich in dieser Stadt große Handelshäuser befinden und sich aus diesen heraus eine Einrichtung entwickelte, die von einem fortschrittlichen Geist „königlicher Kaufleute“ zeugt. 2.500 Mitglieder gehören dem „International House“ an, das von den Beiträgen dieser Mitglieder unterhalten wird, selbst aber ohne Gewinn arbeitet. Wer auch immer Handelsbeziehungen wünscht, wer Auskunft über Absatzmöglichkeiten von Waren jeglicher Art haben will, wendet sich an dieses Haus, das ein „Mädchen für alles“ geworden ist. Das Motto dieses Hauses, das ich auf der Fahne vor der schönen Eingangshalle finde, ist „Dem Weltfrieden, dem Handel und der Verständigung gewidmet“. Kaufleute aus aller Welt finden hier Sekretärinnen, die ihnen kostenlos Briefe in mehreren Sprachen schreiben; sie finden Möglichkeiten, hier in Kursen Fremdsprachen zu erlernen; ihnen stehen Konferenzzimmer, Restaurant und Bar zur Verfügung und eine Bibliothek, in der sie Wirtschaftszeitschriften aus aller Herren Länder, Bücher und Telefonverzeichnisse – auch das von der Oberpostdirektion Bremen – und Listen, die über gewünschte Handelsbeziehungen Auskunft geben, vorfinden. Alles das steht kostenlos zur Verfügung.
Eine deutsche Sekretärin führte mich durch dieses Haus. Sie hatte Verwandte in New Orleans, die sie, die Tochter eines Oberstudiendirektors aus Bayern irgendwo, vor zwei Jahren mit in den Süden der USA genommen hatten, in ein Land, in dem es nie Winter wird. Das junge Mädchen verdient hier als Sekretärin 230 Dollar monatlich und kann sich für 20 Dollar ein gutes Kleid, für 10 Dollar gute Schuhe, für 1 Dollar Strümpfe kaufen. Kürzlich habe sie sich ein Gedicht von Abendkleid für 60 Dollar erstanden, sagt sie mit strahlenden Augen, um aber gleich fortzufahren: „Krank sein darf man hier nicht, die Ärzte und Zahnärzte nehmen viel Geld!“ Als diese junge Dame ihre Stellung im „International House“ antrat, beherrschte sie die englische Sprache nur mangelhaft, jetzt dagegen suchte sie schon oft nach der richtigen Übersetzung ins Deutsche.
Wie viele Amerikaner die Besucher aus fremden Ländern fragen: „Wie gefällt Ihnen Amerika?“, so lag nahe, daß auch dies Mädel aus Bayern diese Frage an mich richtete. Was mir gefällt, aber auch, was mir nicht gefällt, hoffe ich am Ende dieses Besuches sagen zu können. Themen aus verschiedenen Lebensbereichen – hie Deutschland, hie Nord-Amerika – werden in wenigen Minuten gewiß nicht erschöpfend zu beantworten sein. Was sie machen solle, ist die letzte Frage meiner Begleiterin. In New Orleans gefiele es ihr recht gut, aber sie möchte doch im nächsten Jahr nach Deutschland zurück. Inzwischen habe sie einen griechischen Offizier kennengelernt, der auf Kosten seiner Regierung in New Orleans einen Radarkursus absolviere, fließend englisch und etwas deutsch spreche, aber sie wisse nun doch nicht, ob sie sich auf die Dauer in Athen wohlfühlen werde. Ich bedauerte, dem netten jungen Mädchen die Entscheidung über ihre Schicksalsfrage allein überlassen zu müssen.
Nicht weit vom „International House“ findet man den „International Trade Mart„, in dem Schaukästen eine ständige Weltausstellung und eine ständige Mustermesse beherbergen. In diesem Gebäude hat auch das Deutsche Konsulat Unterkunft gefunden, gleich gegenüber einem deutschen Stand, in dem für deutsche Lederwaren, photographische Artikel und für Uhren geworben wird. Offenbar wurde ich als Deutscher erkannt, denn liebenswürdigerweise antwortet man mir auf meinen in englischer Sprache dargebrachten Gruß: „Sprechen Sie ruhig deutsch, ich bin aus Detmold!“ Auch der „International Trade Mart“ ist ein Unternehmen, das ohne Profit arbeitet. Von einem weitsichtigen Geschäftsmann aus New Orleans wurde es erbaut, und heute werden hier Jahr für Jahr Millionen-Geschäfte getätigt. Deutsche Kameras, Leder- und Stahlwaren sind begehrte Artikel.